Ochsenhausen, wia's ischt ond war

Der Hubschrauber "Fa 223 Drachen" von Focke-Achgelis
und das "Werk 11" im Fruchtkasten von Ochsenhausen 1944-45


Henrich Focke und die ersten einsatzfähigen Hubschrauber

Portait Henrich Focke
Professor
Henrich Focke

Im ehemaligen Fruchtkasten des Klosters von Ochsenhausen und in versteckten Produktionsstätten im nahen "Fürstenwald" wurden ab 1944 bis kurz vor Kriegsende 1945 von der Firma "Focke-Achgelis" entwickelte Hubschrauber gefertigt. Seit dieser Zeit spricht der örtliche Volksmund bzw. der alteingessene Teil der Bevölkerung, von der "Focke" (weiblich), wenn der Fruchtkasten gemeint ist. (Anmerkung: "Fruchtkasten" - dieses Wort für die Focke lernte der Autor erst im Heimatkunde-Unterricht kennen.)

Der Flugpionier Henrich Focke [1] (* 8. Oktober 1890 † 25. Februar 1979, beides Bremen - linke Abbildung) stellte im Jahr 1936 mit der "Fw 61" den ersten voll einsetzbaren Hubschrauber der Welt vor [2], nachdem er zuvor mit von De La Cierva entwickelten und lizensierten Tragschraubern experimentiert hatte.
Dieser Erfolg deutscher Ingenieurskunst wurde von den Nazis natürlich propagandistisch gehörig ausgeschlachtet und Focke bekam Besuch von Flugzeugkonstrukteuren aus der ganzen Welt (auch von Sikorski). Die Leistungsdaten der Maschine übertrafen die anderer Hubschrauber dieser Zeit um ein vielfaches. Die "Fw 61" hat für Laien mit den heute verwendeten Drehflüglern äußerlich wenig gemein (Bild unten), doch waren bereits alle wichtigen technischen Details gelöst und Hubschrauber mit zwei Rotoren werden ja auch heute noch gebaut. "Fw" steht noch für Focke-Wulf. Bald darauf wurde Focke jedoch aus der von ihm mit gegründeten Focke-Wulf Flugzeugbau AG gedrängt. Die Gründe dafür sind etwas umstritten, anscheinend behinderte die neue Geschäftsleitung (unter Kurt Tank) Henrich Focke in der Entwicklung der Hubschrauber. Inwieweit das NS-Regime hinter der Politik der für das Reich wichtigen Firma steckte, vermag ich nicht zu beurteilen, jedoch schien sich Focke nicht sonderlich für Kampfflugzeuge zu begeistern. Andererseits förderten die Nazis, auch mit Hinblick auf den kommenden Krieg, neue Technologien.
Jedenfalls gründete Focke 1937 mit Gerd Achgelis die Firma Focke-Achgelis & Co GmbH. Die Fluggeräte dieser Firma trugen gewöhnlich das Kürzel "Fa".

Die Fa 223 "Drachen"

Focke-Wulf Fw 61
Focke-Wulf Fw 61

Für militärische Zwecke begann 1940 im Auftrag des Reichsluftfahrtministeriums (RLM) die Entwicklung und Erprobung eines großen einmotorigen Hubschraubers mit zwei seitlich angeordneten Rotoren. Nach einem heftigen Luftangriff wurde 1942 die Produktion dieses mittlerweile ausgereiften Helikopters aus Hoykenkamp bei Delmenhorst, wo die Firma eine Produktionsstätte hatte, verlagert.
Im abgelegenen oberschwäbischen Laupheim wurde jetzt die "Fa 223 Drachen" hergestellt, ein (in manchen Versionen leicht bewaffneter) Mehrzweck-Hubschrauber, der als Lasten- und Personen-Transporter sowie als fliegender Kran einsetzbar war. Der "Drachen" besaß eine voll verglaste Kanzel die hervorragende Sichtverhältnisse bot. Der Hubschrauber konnte bis zu 850 Kg Last tragen und erreichte Flughöhen bis 7000 Meter bei mehr als 180 Km/h Geschwindigkeit und einer Reichweite (ohne abwerfbare Zusatztanks) von 300 Km (700 Km). Sämtliche dieser Leistungsdaten sind erreichte einzelne Spitzenwerte, die Dienstwerte waren teilweise deutlich niedriger, doch erst im Jahr 1954 wurden manche der Flugleistungen dieser 1940 entwickelten Maschine von anderen Helikoptern übertroffen!

Die Fa 223 V 11 während der Erprobung in Travemünde
Die Fa 223 V 11 während der Erprobung in Travemünde

Die "Fa 223" war weltweit der erste produktionsreife Hubschrauber, es wurden etwa 20 (andere Quellen sprechen von bis zu 40) dieser Fluggeräte hergestellt.[3] Einige wenige (etwa 9) Maschinen wurden bis Kriegsende zur Truppenerprobung ausgeliefert, doch waren wohl nie mehr als drei der Hubschrauber gleichzeitig einsatzfähig. Unter den 26 ausgebildeten Piloten dieser Maschinen sind besonders Bode, Dumke und Gerstenhauer namentlich zu erwähnen.
Drei gerade fertig gestellte "Fa 223" wurden während eines Luftangriffs auf den Flugplatz Laupheim am 19.07.1944 zerstört, weshalb die Produktion und die Entwicklungsabteilung wiederum, und zwar ins nahe Ochsenhausen, verlagert wurde (am 07.08.44). Es entstand das "Werk 11", dessen technisches Büro von Focke selbst geleitet und das im Fruchtkasten eingerichtet wurde. Am Waldrand in einigen hundert Metern Entfernung, neben der Landstraße nach Rottum, wurde eine Produktionshalle sowie ein betonierter Startplatz gebaut.
Auch in Berlin/Tempelhof wurde eine zusätzliche Produktionsstätte (Weser-Flugzeugbau) eingerichtet. Die Fertigung der ebenfalls von Focke entwickelten und gebauten winzigen Schlepp-Tragschrauber ("Fa 330 Bachstelze"), die in ca. 100 Exemplaren auf U-Booten als Aufklärer zum Einsatz kamen, verblieb in Delmenhorst, da man bei Luftangriffen diese motorenlosen Autogiros einfach in den Bunker tragen konnte.

Französische Kriegsbeute

Henrich Focke mit Modell Fa 223
Henrich Focke mit Modell Fa 223

Je bedrohlicher die Kriegslage wurde, desto mehr Kapazitäten und Konstrukteure wurden von anderen Projekten, auch vom Hubschrauberbau, abgezogen, um die Entwicklung von "Wunderwaffen" (Infrarotgesteuerte Luftabwehr- und Luft-Luftraketen etc.) voranzutreiben. Focke verblieb jedoch mit einer kleinen Kerntruppe in Ochsenhausen und setzte seine Arbeiten fort. An die Verwirklichung der geplanten zivilen Version, der Fa 266 war unter den gegebenen Umständen natürlich nicht zu denken.

Mit einer "Fa 223" flog der Testpilot Hans-Helmut Gerstenhauer, nach dem Ende der Kampfhandlungen im Jahr 1945, von Ochsenhausen erst nach Frankreich, dann im Auftrag der Engländer, die diese Maschine für sich beanspruchten, nach Britannien und überquerte damit als erster Pilot eines Helikopters den Ärmelkanal [4].
Die nach dem Krieg in Ochsenhausen und Laupheim verbliebenen restlichen Hubschrauber, Bauteile und Konstruktionspläne wurden zumeist von der französischen Besatzungsmacht als wertvolles Beutegut nach Frankreich verbracht (darunter vermutlich auch das eine der beiden einzig gebauten Exemplare der "Fw 61", die "V2", die den Krieg heil überstanden hatte). Dort wurden die ersten einsetzbaren französischen Hubschrauber, aus denen die berühmten "Alouette" hervorgingen, von Professor Henrich Focke mit entwickelt. Doch auch französische Luftfahrtpioniere wie Étienne Oehmichen (erster frei fliegender Hubschrauber 1922) und Breguet hatten schon in den Zwanzigern ihren wichtigen Beitrag zur Entwicklung der Helikopter geleistet.
Auch den anderen Alliierten fielen solche neuartigen Fluggeräte in die Hände und in Tschechien wurden nach Kriegsende noch zwei Exemplare der "Fa 223" zusammengebaut. Die englischen, amerikanischen und sowjetischen Nachkriegs-Hubschraubertypen waren deshalb vermutlich mehr oder weniger Weiterentwicklungen der deutschen Hubschrauber, obwohl es dem russisch-amerikanischen Luftfahrtpionier Sikorski gegen Ende des Krieges ebenfalls gelang, einen produktionsreifen Helikopter (Einrotorig mit Ausgleichsrotor am Heck) zu entwickeln. Mit dem in Amerika üblichen Nationalismus wird dort deshalb Sikorski heute als der eigentliche Vater der Hubschrauber gefeiert, so jedenfalls der Eindruck, den amerikanische Dokumentationen z.B. bei CNN hinterlassen.

Die Landstraße nach Rottum in den 30er Jahren
Die Landstraße nach Rottum in den späten 30er oder frühen 40er Jahren.
Im Hintergrund das Kloster mit dem ehemaligen Fruchtkasten

Ochsenhausen und "Werk 11" heute

Die Fundamente der ehemaligen getarnten Hubschrauberhalle des Flugfeldes sind am Waldrand am Ende der so genannten "Fürstenallee" (linker Hand an der Straße nach Rottum) immer noch zu finden. Im Fruchtkasten selbst erinnert leider nichts mehr an diese Episode der Luftfahrt-Geschichte.

Die Focke (oder der Fruchtkasten)
Der Fruchtkasten, im Volksmund: die "Focke"

Henrich Focke, der mit seiner ganzen Familie nach Ochsenhausen gezogen war, übersiedelte erst 1948 wieder nach Bremen. Dort baute er noch 1960, im Alter von nun bereits 70 Jahren, in der Bremer Innenstadt den heute so genannten Focke Windkanal, ein noch immer voll funktionsfähiges Versuchlabor zur Flugzeugerprobung, wo er bis kurz vor seinem Tod im Jahr 1979 aerodynamische Studien betrieb.
Wenn auch großartige Ingenieursleistungen bei der Herstellung von Kriegsgerät stets einen seltsamen Nachgeschmack hinterlassen, so kann unsere kleine Gemeinde doch stolz sein, mit einigen Zeilen im großen Buch der Luftfahrtgeschichte verewigt zu sein.

Doch war Focke nicht der Erste der ein Fluggerät in Ochsenhausen baute. Denn schon im Jahr 1928 wurde hier der örtliche Luftsportverein gegründet, dessen Piloten sich bereits nach einiger Zeit mit einem selbst gebauten Segelflugzeug, der Möwe, in die Lüfte erhoben.
Einige Zeit nach dem Krieg wurde die Focke, eine ehemalige Kornschranne der Reichsabtei Ochsenhausen für die Lagerung von Zehnt-Abgaben (daher "Fruchtkasten"), zur Notunterkunft für Heimatvertriebene umgebaut. Erst ab Mitte der sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts begann sich der Bau zu leeren, als auf der anderen Seite des Rottumtales Neubaugebiete entstanden. Heute dient das Gebäude nach einer Renovierung unter anderem als städtische Ausstellungsfläche.

Nachbemerkung zu den Bezeichnungen

Fruchtkasten in der Abenddämmerung (1979)
Fruchtkasten in der Abenddämmerung (1979)

Die in dem obigen Artikel benutzten Begriffe Hubschrauber und Helikopter sind zwar in der Sache identisch, jedoch wurde damals auf deutscher Seite ausschließlich die Bezeichnung Hubschrauber benutzt, die Fw 61 und die Fa 228 waren also streng genommen keine "Helikopter", trotzdem wird hier auch die letztere Bezeichnung verwendet, da sich diese mittlerweile neben "Hubschrauber" in der deutschen Sprache etabliert hat und in der Schweiz sogar das häufiger verwendete Wort ist. ["Helikopter" (griechisch, etwa: Dreh-Flügel) stammt ursprünglich aus dem romanisch-englischen Sprachraum (eng.: Helicopter, span.: Helicóptero etc.)]

Rest vom Werk 11 im Fürstenwald bei Ochsenhausen
Mauerreste vom Werk 11 im Fürstenwald bei Ochsenhausen im Jahr 2007

Die Flugzeugtypenkürzel waren während der Nazizeit vom RLM einer genauen Norm unterworfen. Bis auf zwei Ausnahmen, wurde bei allen Herstellerkürzeln der zweite Buchstabe klein geschrieben, z. B. Me, He, Fw etc. Eine Trennung durch einen Bindestrich zur Typennummer gab es auf deutscher Seite nicht, die Typenbezeichung unten zur Abbildung 2 ist also historisch falsch. Allerdings wird heute von manchen Autoren das Kürzel bei Flugzeugherstellern, deren Firmenname sich auf zwei Flugpioniere gründet, bewusst insgesamt groß geschrieben. Also zum Beispiel FW für Focke Wulf oder FA für Focke Achgelis, denn schließlich, so die Begründung, waren Georg Wulf und Gerd Achgelis ja ebenfalls bedeutende Flugpioniere. Und, weshalb sollte man sich heute noch an irgendwelche Verordnungen des von den Nazis geleiteten RLM halten müssen?

Quellen

(Mit Fotos der Geräte) Die unteren Links führen teilweise auf archivierte Seiten im WebArchive (Wayback Machine), da die originalen Seiten bei der letzten Prüfung nicht mehr aktuell waren oder "tot" sind.


[1] Zum Lebenslauf von Henrich Focke siehe auch Focke-Windkanal
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[2] Quelle: www.fw61.de
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[3] Quelle: www.answers.com/topic/focke-achgelis-fa-223-drache
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[4] Quelle: Rotorblatt 2001 03
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Herzlichen Dank an Karl Kössler für Berichtigungen und Hinweise sowie an Dr. Kai Steffen für die Veröffenlichungsgenehmigung und Überlassung der Fotos von H. Focke

© soweit nicht anders vermerkt:

Peter Engelhardt

Gültig ist die jeweils aktuelle Version unter:
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